Auf den Spuren einer mutigen Frau
Hildegard von Bingen, Äbtissin und Klostergründerin, Meisterin der Heilkunst, Wissenschaftlerin ihrer Zeit, Künstlerin und Seelsorgerin, darf wohl als die heute populärste europäische Klosterfrau des Mittelalters bezeichnet werden. Sie gilt als die erste christliche Mystikerin überhaupt, von der wir konkrete schriftliche Zeugnisse haben. Von der Katholischen Kirche wird sie als Kirchenlehrerin verehrt, ein Prädikat, das nur wenigen Frauen nach ihr zuteil wurde. Wenngleich wir von der heiligen Hildegard sprechen, ist sie bislang streng genommen nach katholischer Vorstellung nicht formal heilig gesprochen. Schon 1235 leitete Papst Gregor IX. ein solches Verfahren ein – es wurde aufgrund von Widerständen abgebrochen.
Der nächste Versuch erfolgte dann 1584, doch auch damals blieb die offizielle Heiligsprechung aus. 1979 starteten Katholische Frauenverbände einen erneuten Antrag in Rom. Aber erst 2012 ordnete Papste Benedikt XVI. an, Hildegard ohne ein förmliches Verfahren in den Heiligenkalender aufzunehmen, und wenige Monate später verlieh er ihr den Titel „Kirchlehrerin“. Offensichtlich hatte die Kirche mit dieser selbstbewussten, erfolgreichen und auch für unser heutiges Verständnis überaus modern denkenden Frau ein Problem. Sie trat öffentlich auf, bot zahlreichen führenden Männern aus Kirche und Politik die Stirn, verkehrte mit den höchsten Würdenträgern des Landes, so mit Kaiser Barbarossa, und war auch kaufmännisch überaus erfolgreich. All das war mehr als ungewöhnlich für eine Klosterfrau. Hildegard war schon zu ihren Lebzeiten berühmt.
Vor allem aber wirkte sie schon damals charismatisch wie ein Magnet auf andere Menschen. Man suchte sie auf, um seelischen Trost und vor allem auch körperliche Heilung bei ihr zu finden. In das in so vielen Bereichen dunkle Leben des Mittelalters hinein, in dem Angst und Furcht vor Krankheiten, Krieg und vor allem das Fegefeuer und die Hölle herrschten, verbreite Hildegard ein außergewöhnliches Gedankengut: Liebe deinen Körper, sorge gut für ihn und freue dich an der Schöpfung und am Leben. Achte die Natur und die Tiere. Leib und Seele verglich sie mit einem liebenden Paar. Sie war damit auch eine große Psychosomatikerin.
Wer also war die eher als von zarter Konstitution beschriebene Hildegard von Bingen? Wir wollen ihre Lebensdaten in einem kurzen Steckbrief vorstellen.
Hildegard von Bingen – Herkunft und Kloster
Wir begeben uns in die Zeit um etwa 1000 n. Chr., eine eher friedliche und aufblühende Epoche mit guten klimatischen Verhältnissen. Es entstanden zahlreiche Städte und die Bevölkerung wuchs stark an. In diese Epoche hinein wurde Hildegard um 1098 im heutigen Rheinland-Pfalz als zehntes Kind der Edelfreien von Bermersheim geboren.
In ihrer Biografie, die sie zu großen Teilen selbst diktiert hat, schreibt sie, dass sie schon als kleines Kind göttliche Visionen und eine prophetische Gabe besaß. Schon ab ihrem achten Lebensjahr wurde sie zunächst von ihrer adeligen Verwandten, Jutta von Sponheim, im klösterlichen Rahmen erzogen. Jutta wechselte dann in eine Klause des männlichen Benediktinerklosters auf dem Disibodenberg an der Nahe, aus dem sich schnell neben dem Männer- auch ein Benediktinischer Frauenkonvent entwickelte. Nach Juttas Tod wurde Hildegard dort Priorin. Doch sie entschied, nach ihren Worten aufgrund göttlicher Weisung, ein eigenes Kloster zu gründen. Für 1147/1148 ist diese Gründung auf der Anhöhe Rupertsberg bezeugt. Ein Grund dafür war sicherlich auch ihr großes Selbstbewusstsein und ihre eigene, freie Art zu denken und zu handeln.
Sie wollte sich nicht immer vor den männlichen Klosterbrüdern, die zwischen Bewunderung, Neid und Hass auf die selbstbewusste und begabte Frau sahen, verantworten. 1151 zog sie mit 18 Schwestern ein. 1165 gründete sie sogar noch ein Tochterkloster bei Rüdesheim. Hildegard erreichte ein für die damalige Zeit nahezu biblisches Alter. Sie starb 80-jährig.
Meisterin der Ökologie und der Heilkunst
Für Christen ist sie eine große Mystikerin, die so in enger innerer Gemeinschaft mit Gott lebte und wirkte. „Tischgenossin Gottes“ wurde sie ehrfurchtsvoll – oder auch manchmal neidvoll – genannt. Was aber für alle Menschen bis heute wohl in größter Erinnerung geblieben ist, dass sind ihre Gedanken und Werke zum Kosmos, zur Natur, zur Ernährung und Gesundheit. Die „Hildegard Medizin“ hat sich über die Jahrhunderte bis heute erhalten und ist ein wichtiger Bereich der Naturheilkunde. Moderne Forschungsinstitute versuchen heute, den Erkenntnissen und Heilmethoden Hildegards weiter auf den Grund zu gehen und sie mit der modernen Medizin zu verknüpfen.
In Hildegards Weltbild durchdringt der Schöpfer die gesamte Schöpfung und den Kosmos. So ist jeder Stein, jede Pflanze, jedes Tier von Schönheit und Bedeutung und „lebendig“. „Symphonia“ – eine große, liebevolle Einheits-Symphonie klingt da an. Mikro- und Makrokosmos sind eines und alles spiegelt sich im Menschen wider. Der Mensch trägt so auch Verantwortung für die Schöpfung. Es ist ein für diese Zeit ganz außergewöhnliches Menschen- und Weltbild mit einem Bewusstsein, dass wir heute auch als ökologisch bezeichnen könnten. Hildegards Bilder zur heilsamen Schöpfung und Kosmologie, in Form von monastischen Mandalas, regen an zur Meditation oder zum Gebet, sie sind Quellen der seelischen Ruhe und das Ergebnis tiefer, mystischer Erfahrung.
Farben haben eine große Bedeutung in Hildegards Lehre, wobei grün die bedeutungsvollste ist. „Günkraft“ nennt Hildegard die göttliche Lebenskraft, die alles durchdringt und die auch jedem Menschen zugrunde liegt. Sie ist dafür verantwortlich, dass der Mensch solch einen starken Lebenswillen hat, sie stärkt ihn und macht ihn erst lebendig. „Grünkraft“ ist ein Geschenk Gottes, weshalb, so Hildegard, jeder Mensch auch verpflichtet sei, sich freudig dem Leben zuzuwenden. Sie lehrt das in einer Zeit, wo schmerzhafte Bußübungen an der Tagesordnung standen und Selbstkasteiungen. Liebe Deinen Körper! – das ist eine der Hauptbotschaften Hildegards.
Damit die Seele gerne darin wohnt. Körper und Geist sind von Gott durchdrungen – und deshalb ist es wichtig, beide gleichermaßen zu hegen und zu pflegen. Dabei spart Hildegard auch die Sexualität nicht aus. Da sie auch als Hebamme gewirkt hat, stand sie auch diesbezüglich mitten im Leben. Wichtig ist indes sowohl bei der Ernährung als auch bei der Sexualität nach Hildegards Lehre das Maß und auch Disziplin. Im Übermaß genossen, sieht sie beides als schädlich an.
Für die Pflege von Körper und Seele hat Hildegard ein breites Spektrum an Diagnosen, Heilmethoden und Rezepten hinterlassen. Stets sieht sie dabei den ganzen Menschen und schöpft voll aus der Kraft der Natur. Seit den 70-er Jahren steht ihr Erbe als „Hildegard Medizin“ zur Verfügung – mit dem Ziel, dass Körper und Seele als ein liebendes Paar zum inneren Frieden und Wohlbefinden der Menschen verhelfen.
Doch nicht nur die Pflege und Gesundheit war ihr wichtig, so gibt es auch zahlreiche Lebensmittelrezepte, welche sich noch heute großer Beliebtheit erfreuen. So ist die Hildegard Suppe weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und in sehr vielen Küchen zu finden, aber auch der Hildegard Zahnwein welcher bereits seit Jahrhunderten erfolgreich zur Pflege der Zähne angewandt wird. Ein weiterer Topseller aus dem Hildegard Sortiment ist die Hildegard von Bingen Veilchencreme.